Jeder Soldat hat eine Mutter

22.12.2017

Heute in der Ostthüringer Zeitung:

Jeder Soldat hat eine Mutter

Sven Hornig aus Peuschen wurde 2010 in Afghanistan schwerst verletzt. Bundesweit wird gesammelt, damit er bald in seinem Heimatdorf leben kann.

Von
Marius Koity

Peuschen
Sven Hornig, ein Mann aus Peuschen, ist vielen Menschen in Pößneck und Umgebung, aber auch darüber hinaus ein Begriff. Was ihm und einigen anderen Männern am 15. April 2010 widerfuhr, ging damals immerhin weltweit durch die Nachrichten. Sein Schicksal war danach allerdings eher hinter vorgehaltener Hand ein Thema. Seine Familie schirmte ihn ab und das, was mehr oder weniger Eingeweihte verbreiteten, ließ sich kaum überprüfen. Einer der drastischsten Sprüche der letzten Jahre über den 1,90-Meter- und 120-Kilo-Mann lautete: „Das ist kein Mensch mehr.“

Ist er wohl.

Man kann sich mit Sven Hornig über den FC Carl Zeiss Jena unterhalten, dessen Fanschal er um den Hals trägt. Er kann präzise die Arbeit beschreiben, die er in einer Behindertenwerkstatt der Lebenshilfe in Jena verrichtet. Und wenn er Kameraden trifft, will er haargenau wissen, was sie so erlebt haben auf ihren letzten Einsätzen in der Welt. „Der Bundestag schickt Soldaten in unser aller Namen zu Einsätzen ins Ausland. Deshalb sollten wir Einsatzveteranen wie Sven Hornig nicht ihrem Schicksal überlassen.“ Jobst Viehweger, NVA- und Bundeswehrsoldat von 1968 bis 1992, zuletzt Major.

Sven Hornigs letzter Einsatz endete an dem 15. April 2010 von jetzt auf gleich.  An dem Tag war der Kampfmittelräumer und Oberfeldwebel der Bundeswehr bei Baghlan im Nordosten von Afghanistan in einer multinationalen Kolonne unterwegs. Da war er schon rund acht Jahre Soldat, doch erstmals im Auslandseinsatz und wohl erstmals außerhalb sicherer Bereiche unterwegs. Gegen 14.30 Uhr an dem Tag war eine Brücke zu passieren und als die Deutschen mit einem gepanzerten Führungs- und Funktionsfahrzeug als letzte Einheit dran waren, schlugen Taliban mit einem wohl über zwanzig Kilogramm schweren improvisierten Sprengsatz zu. Drei Soldaten wurden getötet, fünf verwundet.
Sven Hornig kam mit schweren Verletzungen am Kopf gerade so mit dem Leben davon. Die Bundeswehr sprach von einem Hinterhalt und erklärte, die Deutschen hätten keine Chance gehabt. Ein amerikanischer Verwundetenevakuierungshubschrauber flog den Peuschener vom Schlachtfeld. Der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg brachte die Schwerstverletzten persönlich in einem Intensivstations-Airbus heim – beziehungsweise bis Istanbul, weil der Luftraum über Deutschland wegen einer Aschewolke nach einem Vulkanausbruch auf Island gesperrt war. So wurde Sven Hornig in der Türkei einer seiner ersten von etlichen Operationen unterzogen, ab 20. April wurde er in Deutschland versorgt. Der unerschrockene Mann ist heute an den Rollstuhl gefesselt. Große Teile seines Körpers sind gelähmt. Er braucht seine Momente des Rückzugs aus der Gegenwart. Und er ist praktisch rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Der Krieg, die Schmerzen, die stark eingegrenzten Lebensführungsmöglichkeiten konnten ihm eines jedoch nicht nehmen – das Lächeln. Davon überzeugten sich ihm nahestehende Menschen letzten Sonntag im Weihnachtstal bei Weißenborn im Saale-Holzland-Kreis. „Sven Hornig kann sich nicht mehr selbst spontan mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt treffen, so dass wir das mal für ihn organisiert haben“, erläuterten Christore und Jobst Viehweger aus Delitzsch. Sie sind ehrenamtliche Fallmanager im Bund Deutscher Einsatzveteranen und sorgen gemeinsam mit seiner Mutter Doris Hornig dafür, dass es Sven Hornig an nichts fehlt. Ins Mühltal wurde er von der Volkssolidarität Pößneck mit ihrem rollstuhlgerechten Kleinbus beziehungsweise vom Vorstandsvorsitzenden (und Reserveoffizier) Christian Herrgott gebracht, der das Auto persönlich steuerte. Das kleine Veteranentreffen diente auch der Hilfsaktion „Ein Zuhause für Sven“. Er soll künftig nicht nur Gast im heimatlichen Peuschen sein, sondern ständig dort leben können. Hierzu bedarf es aber eines rollstuhlgerechten Wohnumfeldes. Dieses sei im elterlichen Haus nicht vernünftig einrichtbar. So soll auf dem Grundstück seiner Familie ein auf die Bedürfnisse von Sven Hornig zugeschnittener Flachbau errichtet werden. Es ist von Kosten in Höhe von deutlich über 200 000 Euro die Rede. „Sven ist ja nach wie vor Soldat, mittlerweile Hauptfeld¬webel und dem Panzerpionierbataillon 701 in Gera zugeordnet, und er wird von der Bundeswehr allumfänglich versorgt“, erläutern Christore und Jobst Viehweger. „Er bekommt alles, was ihm gesetzlich zusteht. Doch das Gesetz deckt nicht alle Kosten ab, die sich bei außergewöhnlichen Fällen wie dieser von Sven ergeben. Deshalb sammeln wir für ihn bundesweit Spenden. Wir haben schon viel erreicht. Es gibt Leute, die von ihrem wenigen Geld fünf Euro abgegeben haben, eben weil sie sehen, dass Sven für uns im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf hingehalten hat. Und wir haben beispielsweise Zusagen von Firmen, die kostenlos Leistungen erbringen wollen. Doch es gibt noch eine beträchtliche Finanzierungslücke. Deshalb wagen wir jetzt, nach gründlicher Abwägung, auch den Schritt an die Öffentlichkeit mit der Bitte um Unterstützung“, erklären die beiden Veteranen¬vertreter in Abstimmung mit Doris Hornig. Sie hofft, dass im Frühjahr gebaut werden kann.
„Mein Traum und mein Ziel ist, dass wir Sven in einigen Jahren so weit gebracht haben, dass er seinem Beruf an einem Telearbeitsplatz nachgehen kann.“ Doris Hornig, die nicht aufgeben will, das Bestmögliche für ihren Sohn zu erreichen Doris Hornig kostet es Überwindung, über das Ganze zu sprechen. „Nach dem Schädel-Hirn-Trauma III. Grades mussten wir ja praktisch bei Null angefangen“, erzählt sie. „Er musste alles wieder lernen – atmen, essen, reden. Nichts war selbstverständlich und ist es auch heute noch nicht. Heute kann er aber wieder schreiben, rechnen – wir haben schon viel geschafft, mehr als mancher anfangs dachte. Das war ein langer Weg.“  Auf dem die Mutter auf der Strecke blieb. Über Jahre, beispielsweise vor und nach ihren Nachtschichten und wann immer es notwendig war, hat sie nach ihrem Kind geschaut, ihn bei den Reha-Aufenthalten begleitet, den Papierkram erledigt – bis sie zusammenbrach. Nach über vierzig Jahren im Pößnecker Schokoladenwerk, wo ihr viel Verständnis zuteil geworden sei, gab sie ihren Job auf – die 61-Jährige ist heute arbeitslos. „Hätte ich mich nicht geopfert, wäre Sven heute nicht mehr da“, sagt sie dazu. Das neue Zuhause für ihn wäre eine enorme Erleichterung für die Familie, darüber hinaus könnte das unmittelbare heimatliche Umfeld die Genesung fördern. Doris Hornig hofft, dass das mit dem Flachbau klappt, hat aber keine Erwartungen: „In der Bevölkerung hat man nicht viel übrig für die Bundeswehr. Ich weiß ja, dass die Leute ‚Selber schuld!‘ sagen. Mir gefällt es ja auch nicht, dass wir als Deutschland überall Soldaten hinschicken. Als Sven erzählt hatte, dass er zur Bundeswehr will, habe ich ihm gesagt: Bist du wahnsinnig? Er hat es 2002 trotzdem gemacht. Die Technik, mit der er zu tun hatte, die Kameraden – das alles hat ihm gefallen.“  Und der Afghanistaneinsatz? „Er hat sich nicht darum gerissen“, sagt Doris Hornig. „Wir haben manches Mal darüber geredet und es war klar, dass er mal dran sein und nicht kneifen wird. Er war und ist mit Leib und Seele Soldat. Und er ist mein Junge, hinter dem ich mit Leib und Seele stehen muss.“

Spenden sind willkommen beim Bund Deutscher EinsatzVeteranen e.V., IBAN: DE72 3654 0046 0285 2010 07, Verwendungszweck: Sven

Der Kontakt mit den Fallmanagern kann aufgenommen werden unter j.viehweger@veteranenverband.de
Als Kommunikationsplattform bietet sich die Facebook-Seite „Ein Zuhause für Sven” an.

Der Bund Deutscher Einsatzveteranen ermöglichte dem Afghanistanversehrten Sven Hornig (im Rollstuhl) einen schönen Nachmittag mit lustigen Momenten im Weihnachtstal bei Weißenborn. Es haben ihn unter anderen seine Mutter Doris Hornig (3. v. r.), seine ehrenamtlichen Fallmanager Jobst Viehweger (2. v. l.) und Christore Viehweger (2. v. r) sowie der CDU-Landtagsabgeordnete Christian Herrgott (4. v. l.) begleitet.

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